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Zusammenfassung des Fachtags Nachunternehmerhaftung – und dann? Die Arbeitsbedingungen migrantischer Beschäftigter in der Paketbranche

am 30. Oktober 2019 | in der ver.di-Bundesverwaltung | Berlin

Begrüßung Birgitta Wodke

Die Leiterin des Berliner Beratungszentrums für Gute Arbeit BEMA begrüßte die Teilnehmenden und führte ins Thema ein. Kaum eine Branche ist in den vergangenen Jahren so gewachsen wie die der Paketdienste. Große Unternehmen wie DHL, Hermes, DPD, UPS, und GLS profitieren vom boomenden Online-Handel. Für die Zustellung auf der "letzten Meile" werden aber häufig Subunternehmer beauftragt. Eine bundesweite Razzia des Zolls in der Paketbranche brachte im Februar 2019 Verstöße gegen das Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetz ans Licht und zeigte auch: nicht geleistete Zahlungen an Kranken- und Sozialkassen sind weit verbreitet. Das Ergebnis der Kontrolle: Jede dritte Zustellfirma verstieß gegen geltendes Arbeitsrecht. Auch aus der Beratungspraxis des BEMA sind zahlreiche solcher Fälle bekannt. Extreme Arbeitszeiten von deutlich über 12 Stunden am Tag, Beschäftigte, die keinen Arbeitsvertrag und keine Lohnnachweise erhalten, Unterschreitung des Mindestlohns und Betrug bei der Arbeitszeit.

Am 24. Oktober 2019 hat der Bundestag das sogenannte Paketboten-Schutz-Gesetz beschlossen. Ziel des Gesetzes ist es, die Nachunternehmerhaftung, die bereits seit Jahren in der Fleischwirtschaft und im Baugewerbe existiert, auf die Paketbranche auszuweiten. Die Neuregelung soll künftig die korrekte Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen hat das BEMA im Oktober ein besonderes Augenmerk auf die Arbeitsbedingungen in der Paketbranche gelegt. Anlässlich des Welttags für menschenwürdige Arbeit am 7. Oktober hatte es zu einem Aktionstag gegen Arbeitsausbeutung in der Paketbranche aufgerufen und berlinweit Flyer an Paketzusteller*innen verteilt, um über Arbeitsrechte und unser mehrsprachiges Beratungs- und Unterstützungsangebot zu informieren. Bei der Aktion wurden Gespräche mit Paketzusteller*innen über ihre Arbeitsbedingungen geführt. Frau Wodke gab einige Aussagen der Beschäftigten wieder:

Grafik: Aussagen der Beschäftigten (BEMA)

 

Branchenpolitische Herausforderungen: Die Situation Beschäftigter in der Paketbranche

Stephan Teuscher, ver.di-Bereichsleiter Tarif-, Beamten- und Sozialpolitik

In seinem Vortrag gab Stephan Teuscher einen Überblick über die Struktur der Paket-Branche und stellte das neu verabschiedete Paketboten-Schutz-Gesetz vor. Während bei DHL 95 Prozent der Paketzusteller*innen tarifgebunden beschäftigt sind und dies bei UPS auf immerhin 40 Prozent der Belegschaft zutrifft, lassen Hermes, dpd, GLS und amazon logistics ausschließlich von Subunternehmern zustellen.  Teuscher begrüßte die Einführung der Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge in der Paketbranche betonte aber, dass dieses keine existenzsichernden Löhne garantiere. Voraussetzung hierfür sei die Stärkung der Tarifbindung. Maßnahmen hierfür seien die Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, Tariftreue als Kriterium bei der Auftragsvergabe sowie Steuervorteile zur Stärkung der Tarifbindung für Gewerkschaftsmitglieder und tarifgebundene Arbeitgeber*innen. Präsentation

 
Foto: Anja Smasal (BEMA)

Podiumsdiskussion: Was bringt die Nachunternehmerhaftung für migrantische Beschäftigte in der Paketbranche?

Auf dem Podium diskutierten Monika Fijarczyk (BEMA), Dominique John (DGB-Projekt Faire Mobilität), Dimitar Matsov (Paketzusteller, Übersetzung: Dr. Irina Lazarova) und Stephan Teuscher (ver.di) mit der Moderatorin Anna-Katharina Dietrich (BEMA)

Zunächst erläuterte Monika Fijarczyk die Bedeutung der Nachunternehmerhaftung in der Beratungspraxis. So wenden sich häufig Beschäftigte aus dem Bausektor an das BEMA, deren Löhne nicht gezahlt wurden. Mit dem Vorenthalten des Lohns geht zumeist auch das Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge einher. Nicht selten ist der direkte Arbeitgeber*in nicht auffindbar oder zahlungsunfähig. Allerdings sind diese in der Baubranche in vielen Fällen Subunternehmer und hier kommt das Instrument der Generalunternehmer- oder Nachunternehmerhaftung ins Spiel: Die Haftung des Generalunternehmers für die Mindestlöhne gilt bereits für sämtliche Branchen. Für die außergerichtliche Geltendmachung von Löhnen nutzt das BEMA dieses Instrument mit guten Ergebnissen: Entweder zahlt der jeweilige Generalunternehmer direkt oder dieser übt Druck auf den jeweiligen Subunternehmer aus, die Löhne zu zahlen.

Foto: Anja Smasal (BEMA)
 

Daneben existiert die Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge, die es in der Vergangenheit nur für die Baubranche und fleischverarbeitende Industrie gab und welche nun auf die Paketbranche ausgeweitet wird. Die Wirkung der Nachunternehmerhaftung sei sehr beschränkt. Das Hauptproblem sei, dass sich der Generalunternehmer durch die Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung entlasten kann. Eine solche Exkulpation des Generalunternehmers existiert nicht in Bezug auf die Haftung für den Mindestlohn. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Krankenkassen für die Geltendmachung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zuständig sind, die Verfahren häufig lange dauern und bei den Beschäftigten Versicherungslücken entstehen. Inwieweit das Paketboten-Schutz-Gesetz tatsächlich eine präventive Wirkung haben wird, sei abzuwarten.

Anschließend schilderte Dominique John, welche Entwicklungen das DGB-Projekt Faire Mobilität mit der Nachunternehmerhaftung im Baugewerbe und der Branche der Fleischverarbeitung zu beobachten glaubt.  Er hob hervor, dass die Einführung der Nachunternehmerhaftung in der Fleischbranche durch ein im Jahr 2017 eingeführten Gesetz („Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft“, GSA Fleisch) ein großer politischer Erfolg gewesen sei und die Unternehmen wahrnehmbar verunsichert habe. Im Ergebnis hätten die Auftraggeber*innen auf die Subunternehmer eingewirkt, das hätte man an verschiedenen Stellen gespürt. Im Unterschied zu Bau- und Paketbranche sei die Anzahl der Subunternehmer in der Branche aber überschaubar. Hierin liege ein entscheidender Faktor, weshalb das Instrument in der Baubranche weniger Wirkung entfalten könne.

In Hinblick auf die Paketbranche habe das Paketboten-Schutz-Gesetz eine breite gesellschaftliche Debatte angestoßen, was positiv sei. Dennoch blieben grundsätzliche Kritikpunkte wie die Frage, weshalb es die Exkulpationsmöglichkeit für den Generalunternehmer überhaupt gibt – im Mindestlohngesetz ist sie nicht vorgesehen. Ein entscheidender Unterschied zur Fleischbranche sei, dass es für diese die Pflicht zur täglichen Dokumentation der Arbeitszeit gebe. Entsprechendes sei auch für die Paketbranche diskutiert aber nicht umgesetzt worden, was Kontrollen des Zolls erschweren werde. Es brauche darüber hinaus eine Umkehr der Beweislast bei Scheinselbstständigkeit. Auch über eine Beschränkung von Subunternehmerketten sollte nachgedacht werden.

Foto: Anja Smasal (BEMA)

 

Im Anschluss berichtete Dimitar Matsov von den Arbeitsbedingungen und Problemen in der Paketbranche. Er hatte knapp zwei Jahre selbst als Paketzusteller für einen dpd-Subunternehmer gearbeitet und sich aufgrund einer Kündigung an das BEMA gewandt. In den ersten drei Monaten habe er ohne schriftlichen Arbeitsvertrag – und ohne Anmeldung zur Sozialversicherung – arbeiten müssen. Eine große Arbeitsbelastung stelle die Arbeitszeit von bis zu zwölf Stunden täglich dar, welche nicht dokumentiert worden sei. Seine Überstunden seien nicht bezahlt worden. Kolleg*innen, die sich krankmeldeten, seien gekündigt worden. Er sei froh, dass es Beratungsstelle gebe, die Beschäftigte wie ihn dabei unterstützen, ihre Löhne einzuklagen. Um migrantische Paketzusteller*innen zu schützen, regte Dimitar Matsov an, Informationen über Arbeitsrechte und Beratungsangebote für diese noch besser zugänglich zu machen.

Stephan Teuscher verwies schließlich auf die für 2023 vorgesehene Evaluation des Paketboten-Schutz-Gesetzes. Dann werde sich die präventive Wirkung beurteilen lassen.

Analysen aus der Paketbranche

Strafrechtlich relevante Arbeitsausbeutung in der Paketbranche – Bericht aus der Beratungspraxis

Anja Smasal, BEMA (www.bema.berlin)

Die Beraterin Anja Smasal stellte einen Fall aus der Beratungspraxis vor. Der Paketzusteller Brahim K. kam zunächst in die reguläre arbeitsrechtliche Beratung des BEMA. Im Zuge der Beratung wurde deutlich, dass Herr K. vermutlich Opfer von Arbeitsausbeutung oder Zwangsarbeit im Sinne des Strafrechts war. Er stand in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Arbeitsgeber, bei welchem er auch wohnte und verfügte über keine finanziellen Mittel. Aufgrund fehlender Sprach- und Systemkenntnisse lag zudem eine ausländerspezifische Hilfslosigkeit vor. ausführliche Zusammenfassung des Beitrags

Grafik: Definition Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft (BEMA)

 

Handlungsstrategien zur Vermeidung von Arbeitsausbeutung in der Paketbranche – Ergebnisse einer Branchenrecherche

Kordula Heineck, Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel (www.servicestelle-gegen-zwangsarbeit.de)

Kordula Heineck stellte die Ergebnisse einer Branchenrecherche der Servicestelle vor. Ziel der Recherche ist es, mithilfe von Indikatoren für Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit oder Menschenhandel die Arbeitsbedingungen migrantischer Arbeitnehmer*innen zu untersuchen und Handlungsstrategien zur Vermeidung von Ausbeutung zu entwickeln. Notwendige Schritt seien demnach die Anerkennung, dass es strukturelle Risiken in der Branche gibt und es sich nicht nur um Einzelfälle handelt, Prävention, Unterstützung von Opfern und schließlich die konsequente Sanktionierung von Arbeitsausbeutung. ausführliche Zusammenfassung des Beitrags

Gemeinsam gegen Diskriminierung, Kontrollen und Entlassungen. Zwischenbericht über unsere Aktivitäten beim Ingram-Logistikzentrum

Maria Seidel, Fachstelle „Migration und Gute Arbeit“ Brandenburg (www.rightsatwork.de)  

Maria Seidel berichtete über die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten des Brandenburger Logistikzentrums Ingram und den gemeinsamen Aktivitäten der Fachstelle mit der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg und ver.di. ausführliche Zusammenfassung des Beitrags

Ergebnisse der Arbeitsgruppen

AG 1: Nachunternehmerhaftung – und dann? Welche individualrechtlichen Veränderungen sind weiterhin nötig?

Moderation: Kordula Heineck

In der Arbeitsgruppe 1 wurde diskutiert, welche Maßnahmen jenseits der Einführung einer Nachunternehmerhaftung notwendig wären, um die Arbeitsbedingungen in der Paketbranche zu verbessern. Folgende Forderungen wurden dabei aufgestellt:

AG 2: Kollektive Rechte und Organisierung in der Paketbranche – Strategien gegen Vereinzelung und Prekarisierung

Moderation: Anna Basten

Die Arbeitsgruppe diskutierte mögliche Strategien für eine Organisierung in der Paketbranche.

Aufsuchende Aktionen wie am Aktionstag seien gut, um Informationen zu verbreiten, dies sei aber noch keine Organisierung von Beschäftigten. Auch werden Beratungsstellen eher für Einzelfallberatung als für Organisierung finanziert. Zwischen der Arbeitsweise von Beratungsstellen (Mehrsprachigkeit, Einzelfallarbeit) und Gewerkschaften (Kollektive Arbeit, Organisierung) bestehen zunächst große Unterschiede. Auch finde mehrsprachiges Organizing kaum statt. Mögliche Strategien sind:

AG 3: Strategien in der arbeitsrechtlichen Beratung

Moderation: Dr. Irina Lazarova

Die dritte Arbeitsgruppe tauschte sich über Strategien in der Beratung von Paketzusteller*innen aus. Zunächst wurden typische Probleme gesammelt, mit denen sich Beschäftigte aus der Paketbranche an Beratungsstellen wenden. Mehrere Berater*innen berichteten von Lohnabzügen aufgrund verlorener Pakete oder Fahrzeugschäden. Die (Nicht)Erfassung von Arbeitszeit und Überstunden sei ein großes Problem. Häufig werde auch die Zeit, in der die Autos beladen werden, nicht als Arbeitszeit gerechnet. Bei Krankheit werden Paketzusteller*innen unter Druck gesetzt, weiterzuarbeiten. Eine Beraterin berichtete von bulgarischen Ratsuchenden, die von ihrem Arbeitsgeber in einem sanierungsbedürftigen Haus untergebracht wurden.

In der Beratungspraxis ist die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen zentral. Die Berater*innen schreiben die Arbeitgeber*innen oder Generalunternehmer hierfür im Namen der Ratsuchenden an. Eine wichtige Voraussetzung für die Geltendmachung von Lohnansprüchen ist jedoch die Dokumentation der Arbeitszeit. Die Hürden, Löhne selbst vor dem Arbeitsgericht einzuklagen, seien aufgrund von Anwalts- und Dolmetscherkosten hoch für die Ratsuchenden. Problematisch sei auch, dass nicht wenige Arbeitnehmer*innen Angst vor körperlicher Gewalt durch die Arbeitgeber*innen haben. Neben Beratungsangeboten sei auch präventive Information und Aufklärung über Rechte von Bedeutung, beispielsweise in sozialen Medien.

Zum Herunterladen

Zusammenfassung als pdf

Programm des Fachtags

Arbeitszeitkalender zur Dokumentation der Arbeitszeit

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